Bericht über die Untersuchung der Gebeine des hl. Ulrich am 24. April 1971

BERICHT über die Untersuchung der Gebeine des hl. ULRICH am 24. April 1971 in der großen Sakristei der Ulrichsbasilika zu AUGSBURG

Der Hochwürdigste Herr Diözesanbischof von Augsburg DR. JOSEF STIMPFLE hat die Bildung einer Ärztekommission angeordnet zur Überprüfung und Dokumentation der Gebeine des heiligen Ulrich, die anläßlich der Restaurierung des Schreines in Zusammenhang mit den bevorstehenden Tausendjahr-Feierlichkeiten vorübergehend entnommen wurden.

Die Ärztekommission wurde vom Stadtpfarrer von St. Ulrich, Herrn Geistlichen Rat SPODEN für den 24.4.1971 einberufen. Es versammelten sich um 14 Uhr in der großen Sakristei des Ulrichmünsters:

Frau Dr. Eva MITTELBACH, geb. Zeitler, Augsburg, Fachärztin für innere Medizin,

Herr Dr. habil. Eberhard EMMINGER, Augsburg, Direktor des Pathologischen Institutes,

Herr Professor Dr. Franz MITTELBACH, II. Medizinische Klinik der Universität München,

Herr Dr. Leo WECKBACH, Augsburg, Facharzt für Chirurgie,

Herr Professor Dr. med Dr. phil. Emil WEINIG, Erlangen, Direktor des Institutes für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg. Herr Professor Weinig wurde zum Vorsitzenden der Ärztekommission bestellt. Zur Anfertigung photographischer Aufnahmen wurde Herr Hauptsekretär Otto OPITZ vom Erlanger Institut beigezogen.

Bei der Tätigkeit der Ärztekommission waren außerdem anwesend der Sekretär des Hochwürdigsten Herrn Bischofs, Domvikar Simon Eding, als Vertreter der Kirchenverwaltung St. Ulrich und Afra Herr Alfons Klotz, als Vertreter der Diözesanpressestelle Augsburg Herr Hans-Peter Röthlin, sowie der Mesner des Ulrichsmünsters, Herr Wilhelm Brehm.

Nach Begrüßung durch den Hochwürdigsten Herrn Bischof und Bekanntgabe des Auftrages für die Ärztekommission bat der Hochwürdigste Herr den Stadtpfarrer von St. Ulrich um einen kurzen Bericht über den bisherigen Sachverhalt im Hinblick auf die Verbringung der Gebeine des Heiligen aus dem Erdgrab in einen kupfernen Behälter im Jahre 1187 und die Translation in einen Gold-Silber-Schrein am 1.7.1764.

Die in einem versiegelten Holzbehältnis aufbewahrten Gebeine wurden der Ärztekommission übergeben. Die Lösung der bischöflichen Siegel hatte Domvikar Eding vorgenommen. Die Knochen wurden auf der Mensa d. Sakristei ausgebreitet, soweit möglich einander zugeordnet und auf den Erhaltungsgrad und besondere Merkmale untersucht. Es wurden Messungen vorgenommen und photographische Aufnahmen angefertigt. An den trockenen, im allgemeinen bräunlichen bis graufleckigen Knochen wurde folgendes festgestellt:

1. Der Kopf ist im Ganzen erhalten. Er zeigt spärliche Zerfallserscheinungen an der äußeren Tafel der linken Schädelseite. Im Bereich des Hirnschädels beträgt der größte Längsdurchmesser 17,5 cm, der größere Querdurchmesser 14 cm. Am Gesichtsschädel sind die Augenhöhlen, Jochbeine, Nasenbein und Oberkiefer erhalten. Im Oberkiefer befinden sich links ein Molarzahn und ein Prämolarzahn, rechts 2 Prämolarzähne. Der erhaltene Unterkiefer ist mit einem Bindfaden am Oberkiefer befestigt und weist 4 Schneidezähne und rechts einen Prämolarzahn auf. Die Schneidezähne sind bis auf die Pulpa abgeschliffen.

Die Ränder des großen Hinterhauptloches und die Warzenbeinfortsätze sind erhalten. Die Gelenkflächen des Hinterhauptknochens sind gut erhalten & glatt.

2. Die Wirbel sind in richtiger Reihenfolge und vollzählig auf einem Metallblatt aufgereiht. Über die Wirbelsäule läßt sich im Einzelnen folgendes aussagen:

Der 1. Halswirbel paßt mit seinen oberen glatten Gelenkflächen exakt auf die glatten Gelenkflächen des beschriebenen Hinterhauptknochens.

Der Zahn des 2. Halswirbels ist erhalten, auch hier sind die Gelenkflächen oben und unten intakt, 1. und 2. Halswirbel lassen sich spielend gegeneinander drehen. 5. und 6. Halswirbel bilden bei erhaltenen Gelenkflächen zusammen einen Blockwirbel mit Randzacken und Leisten, durch welche die beiden Wirbelkörper miteinander verschmolzen sind.

Die Körper des 2. und des 8. Brustwirbels fehlen weitgehend. Die beiden Bögen und die Dornfortsätze dieser Wirbel sind wie an allen anderen Wirbeln bis z. 5. Lendenwirbel erhalten.
10. und 12. Brustwirbel sind durch eine glatte Knochenplatte an der Vorderseite miteinander verschmolzen, die Gelenkflächen sind erhalten.

Im Bereiche des vierten und fünften Lendenwirbels werden ausgedehnte Randzacken und Wülste festgestellt, die jetzt gelöst erscheinen, sichtlich aber ursprünglich etwas ineinander übergriffen. Besonders deutlich ist dies im Bereich des 5. Lendenwirbels, welcher mit Zacken auf das erhaltene Kreuzbein übergreift. Am Kreuzbein befinden sich ebenfalls kleine Zacken. Die Unterfläche des 5. Lendenwirbels paßt so eng und exakt auf den 1. Wirbel des Kreuzbeins, daß ein weitgehender Schwund der Zwischenwirbelscheibe zu Lebzeiten angenommen werden muß. Auffallend ist hier auch die Einengung des Foramen intervertebrale, die links deutlicher als rechts ist und offensichtlich bedingt durch die Verschmälerung bzw. den völligen Schwund des Zwischenwirbelscheibenmaterials & der Knochenwülste der angrenzenden Abschnitte. Die Foramina intervertebralia der übrigen Lendenwirbel erscheinen normalgroß und unauffällig. Die Längsdurchmesser der Lendenwirbel betragen in der Mittellinie vorn 3 cm, die der Brustwirbel und zum Teil auch d. Halswirbel 2,5 cm. Die Gelenkflächen des Kreuzbeines zu den Hüftbeinen sind zerfallen.

3. Das rechte Hüftbein war – wie alle übrigen Knochen – zusammenhanglos beigelegen. Es weist einen breiten Zerfallsbezirk an der Innenfläche des Darmbeines auf. Die Gelenkfläche zum Kreuzbein ist nicht mehr erhalten.

4. Am linken Hüftbein fehlen der obere und der untere Schambeinast völlig. Die Form der Incisura ischiadica maior zeigt deutlich männlichen Typ. Die Pfanne des Hüftbeines für den Kopf des Oberschenkelknochens ist beiderseits deutlich erhalten und ohne Randwulstbildung. Die Gelenkfläche zum Kreuzbein ist zerfallen.

5. Der linke Oberschenkelknochen ist erhalten, 53,8 cm lang und weist glatte Gelenkflächen auf. Nach seiner Form entspricht er dem männlichen Typ.

6. Der rechte Oberschenkelknochen mit glatten Gelenkflächen ist 53,8 cm lang. Es fehlt ein Teilstück des medialen Epicondylus; die jetzt sichtbare Spongiosastruktur zeigt regelrechte Beschaffenheit.

7. Die linke Kniescheibe ist gut erhalten und weist glatte Gelenkflächen auf.

8. Auch die rechte Kniescheibe besitzt bei gutem Erhaltungszustand glatte Gelenkflächen.

9. Das linke Schienbein mißt 41,8 cm, die Gelenkflächen sind glatt und unauffällig.

10. Das rechte Schienbein mit erhaltenen Gelenkflächen mißt 41,8 cm. Die Tuberositas ribiae ist etwas vergröbert und gewulstet.

11. Das linke Wadenbein mit erhaltenen Gelenkflächen mißt 42,5 cm.

12. Das rechte Wadenbein mit erhaltenen Gelenkflächen mißt ebenfalls 42,5 cm.

13. Das linke Fersenbein weist nur geringe Verwitterungserscheinungen auf, die Gelenkflächen sind deutlich erhalten.

14. Das rechte Fersenbein zeigt einen ähnlichen Erhaltungszustand wie das linke.

15. Das linke Sprungbein ist einschließlich der Gelenkflächen gut erhalten.

16. Das rechte Sprungbein entspricht in Form und Erhaltungszustand dem linken.

17. Das linke Schlüsselbein zeigt regelrechte Form mit leichten Zerfallserscheinungen an den Enden.

18. Das rechte Schlüsselbein weist zusätzlich zu geringen Zerfallserscheinungen eine Einkerbung auf.

19. Vom Brustbein ist ein 12 cm langes Teilstück erhalten, an dem man noch die Einkerbungen für die Ansätze des Rippenknorpel beiderseits sehen kann.

20. An der rechten Brustbeinseite ist ein 13 cm langes verknöchertes Teilstück der 3. Rippe, die Verknöcherung des Rippenknorpels, fest mit dem Brustbein verbunden.

21. 9 Rippen links sind nur teilweise, die drittletzte Rippe aber fast ganz erhalten.

22. Von zehn rechten Rippen sind 8 Rippen nur als Teilstücke, die drittletzte und viertletzte Rippe fast ganz erhalten.

23. Das linke Schulterblatt mit erhaltener Gelenkfläche zeigt geringe Einkerbungen an der Außenfläche infolge von Zerfallserscheinungen.

24. Das rechte Schulterblatt ist bis auf eine Einkerbung medial oben gut erhalten und weist eine glatte Gelenkfläche auf.

25. Der gut erhaltene linke Oberarmknochen ist 36,5 cm lang. Die Gelenkfläche des Kopfes ist gut erhalten, am distalen Ende bestehen deutliche Verwitterungserscheinungen.

26. Der rechte Oberarmknochen mit gut erhaltenem Gelenkkopf und Gelenkflächen ist 36,5 cm lang.

27. Die linke Elle ist 29,8 cm lang und gut erhalten.

28. Die rechte Elle mißt 29,8 cm, ihr Erhaltungszustand entspricht dem der linken.

29. Die linke Speiche ist am oberen Teil gut erhalten, der Processus styloides mit seinem an der Handwurzel artikulierenden Körper fehlt völlig. Die Länge dieser Speiche beträgt 25 cm.

30. Die rechte Speiche fehlt. Unter den Knochen befindet sich zwar ein Knochenteil von 14 cm Länge und etwa 11 mm Dicke, das als Röhrenknochen zu bezeichnen ist. Dieses Stück gehört aber offenbar nicht zu den übrigen Knochen, wenn auch nach der Form möglicherweise ein Teilstück eines kleineren Speichenknochens vorliegt.

31. Von Hand- und Fußskelett werden außer den unter Ziffer 13–16 beschriebenen Fersen- und Sprungbeinen noch 57 Einzelknochen vorgefunden. Sie zeigen z. T. Zerfallserscheinungen. Es handelt sich um Knochen aus Hand- und Fußwurzel, um Mittelhand- und Mittelfußknochen, sowie um Finger- bezw. Zehenglieder.

32. Unter den 57 Knochen lassen sich zwei Phalangen und ein Mittelfußknochen zu einer Großzehe zusammenfügen.

Von den bisher beschriebenen Knochen werden Photographien angefertigt. Sie werden als Erläuterung des vorliegenden Textes diesem beigegeben.

Zur weiteren Dokumentation werden der Ärztekommission eine mit rosaroter Seide überzogene Holzschachtel und eine Silberdose vorgelegt.

Die Holzschachtel enthält ein Teilstück des Kehlkopfes mit verknöchertem Schildknorpel und erhaltenem rechten Fortsatz, während der linke Fortsatz fehlt. Außerdem befinden sich darin zwei unbestimmbare Knochenstücke von etwa Doppeldaumenkuppengröße sowie 5 Schneidezähne und ein Mahlzahn.

Die Silberdose enthält einen Prämolarzahn und einen Mittelfußknochen. Es konnte nicht bestimmt werden, ob die Knochenteile in der Holzschachtel und in der Silberdose zu den Gebeinen des hl. Ulrich gehören.

Die Ärztekommission assistiert sodann dem Sakristan des Ulrichsmünsters bei der Verbringung d. beschriebenen Gebeine in den Gold-Silber-Schrein.

Sie bestätigt dabei die Entnahme der Grundphalanx einer Hand durch den Bischöflichen Sekretär, Domvikar Eding.

Die Ärztekommission assistiert schließlich bei der Versiegelung des Sarkophags durch den Bischöflichen Sekretär unter Mithilfe des Sakristans.

ZUSAMMENFASSUNG:

Bei der Untersuchung durch die Ärztekommission am 24.4.1971 wurden folgende Befunde erhoben:

Es handelt sich um ein weitgehend erhaltenes Skelett mit kräftigen Knochen. Dieses besteht aus einem gut erhaltenen, vollständigen Schädel, mit einigen Zähnen, aus den großen Röhrenknochen der Extremitäten, ausgenommen die rechte Speiche, den sämtlichen Knochen der Wirbelsäule im Zusammenhang, aus dem größten Teil der Beckenknochen, aus Teilen des Brustkorbes sowie aus einer großen Anzahl von Knochen des Hand- und Fußskelettes.

Es muß hervorgehoben werden, daß die Knochen verhältnismäßig gut erhalten sind. Unter den Beschädigungsstellen der Knochenoberflächen wurde eine deutlich erhaltene Spongiosa sichtbar.
Auf Grund der Untersuchungen handelt es sich um die Knochen eines männlichen Individuums von großer und kräftiger Statur. Die Körperlänge betrug schätzungsweise 180–190 cm.

Der Erhaltungszustand der Gelenke einschließlich fast aller kleinen Wirbelgelenke ist im Allgemeinen auffallend gut.

Besonders bemerkenswert ist ein schwerer degenerativer Umbau der Wirbelsäule an charakteristischen Stellen, so am 5. und 6. Halswirbel, am 10. und 11. Brustwirbel und am 4. und 5. Lendenwirbel mit dem Kreuzbein. Der Umbau ist als hochgradige degenerative Spondylosis deformans zu bezeichnen. Im Übergangsbereich zwischen Lendenwirbel und Kreuzbein war es offenbar zu Lebzeiten durch degenerative Veränderungen zu einem völligen Umbau der Zwischenwirbelscheibe gekommen. Bei den Veränderungen an der Wirbelsäule handelt es sich um Befunde, wie sie auch bei Menschen unserer Zeit vorkommen.

Es konnte eine exakte Übereinstimmung der Gelenkflächen an der Oberseite des 1. Halswirbels und an der Unterseite des Hinterhauptbeines des Schädels festgestellt werden. Nach einhelliger Meinung der Ärztekommission besteht daher nicht der geringste Zweifel, daß der erste Halswirbel der im Zusammenhang vorliegenden Wirbelsäule und der Schädel zum gleichen Skelett gehören.
Die Feststellung im Ärzteprotokoll vom 2.7.1764, nach denen die Skelett-Teile ihrer Größe nach die erforderlichen Proportionen zueinander haben, die erhaltenen Gelenkflächen sich gut entsprechen und an der Zugehörigkeit der Knochen zu einem einzelnen Skelett daher nicht zu zweifeln ist, konnten bestätigt werden.

Die Untersuchungen wurden um 14 Uhr begonnen und um 16.20 Uhr beendet.

Im Anschluß an die Versiegelung des Sarkophages ergriff der hochwürdigste Herr Diözesanbischof erneut das Wort und dankte der Ärztekommission für die wichtige und schwierige Arbeit.

Die Mitglieder der Ärztekommission unter Vorsitz des Herrn Professor Dr. Dr. Weinig bestätigen durch eigenhändige Unterschrift die Übereinstimmung der Aufzeichnung mit dem festgestellten Sachverhalt über die Gebeine des hl. Ulrich & bestätigen hiermit auch die Richtigkeit des Protokolls.

Augsburg, den 6. November 1971.

Dr. Eva Mittelbach

Dr. hab. Eberhard Emminger

Prof. Dr. Franz Mittelbach

Dr. Leo Weckbach

Prof. Dr. Emil Weinig