Bischof Dr. Joseph Freundorfer – Begründer der Ulrichswoche
Joseph Freundorfer, der am 31. August 1894 in Bischofsmais geboren wurde, ist von 1949 bis 1963 Bischof von Augsburg gewesen. Er war bis zu seiner Wahl zum Bischof außerdem Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Passau und zeitweise auch deren Rektor. Sein Wahlspruch als Bischof lautete „Cupidus evangelizare divitias Christi“.
Zum Sommersemester 1930 nahm Freundorfer als Vertreter des Lehrstuhls für neutestamentliche Exegese an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Dillingen seine Lehrtätigkeit auf. Bereits im November des gleichen Jahres wurde er an die Philosophisch-Theologische Hochschule nach Passau berufen, deren Rektor er ab 1947 war. Im Jahr 1940 wurde er zudem als Konsultor in die päpstliche Bibelkommission in Rom berufen.
Am 9. Juli 1949 wurde Freundorfer durch Papst Pius XII. zum Bischof der Diözese Augsburg ernannt. Konsekration und Inthronisation folgten am 21. September 1949 durch Michael Kardinal von Faulhaber. Als Bischof förderte vor allem den Priesternachwuchs durch die Eröffnung eines neuen Knabenseminars in Kempten und durch die Vergrößerung der Seminare in Dillingen. Er engagierte sich außerdem in besonderer Weise um den Wiederaufbau nach dem Krieg. Darüber hinaus war er am Aufbau der Christlichen Arbeiterjugend sowie der Katholischen Aktion im Bistum Augsburg beteiligt, in Leitershofen ließ er das Exerzitienhaus St. Paulus und im gesamten Bistum ca. 60 neue Kirchen errichten und weitere 35 umgestalten. Besonders lag Bischof Freundorfer die Verehrung des Hl. Ulrich am Herzen, aus diesem Grund rief er die Ulrichswoche ins Leben, bezog dabei die ganze Diözese mit ein und förderte auf diese Weise die Wallfahrt zum Grab des Bistumspatrons.
Freundorfer begann bereits einige Jahre vor seinem Lebensende mit der Erarbeitung der Richtlinien einer einheitlichen Bibelübersetzung für das katholische Deutschland, litt allerdings seit 1962 an einer Krankheit. Er starb am 11. April 1963.
Eine ausführliche Beschreibung des Lebens und Wirkens von Bischof Dr. Joseph Freundorfer, verfasst von Bistumshistoriker Dr. Thomas Groll können Sie hier herunterladen (26 Seiten, pdf – ca. 135 KB)
Ansprache von Bischof Dr. Joseph Freundorfer an die Priester – 4. Juli 1955
Liebe Mitbrüder,
ich bin besonders beglückt über diese Stunde, in der ich mich am Anfang der Jubiläumswoche, die wir feiern, – am Festtag des hl. Ulrich, in der Kirche und am herrlichen Grabe des hl. Ulrich – , mit denjenigen zur gemeinsamen Opferfeier zusammenfinde, die die Arbeiter – die unermüdlichen und von der Liebe des hl. Ulrich erfüllten Arbeiter – im Weinberg des hl. Ulrich sind, und mit denen, die ihre jungen Kräfte vorbereiten und zurüsten zu der Zukunftsarbeit, die für den Weinberg des hl. Ulrich sein wird.
In der Gemeinschaft mit meinem Klerus trete ich in die Gemeinschaft des hl. Ulrich, dessen Gestalt uns über dieser Woche und jetzt über dieser heiligen Stunde des Opfers Jesu Christ leuchtet. Wir treten in die Gemeinschaft des hl. Ulrich; denn das ist ja das letzte Ende und Abzielen dieser Woche, daß wir in seine Gemeinschaft kommen, in die Gemeinschaft seines Wortes, das uns ruft, in die Gemeinschaft seines Vorbildes, das uns hinaufzieht und verpflichtet, in die Gemeinschaft seines Gebetes, mit dem er einst das Abendland gerettet hat, mit dem er unter uns stehen möge als eine neue Kraft und wirksam werden möge als ein neuer Gnadenrufer für unsere Zeit, an der wir sein Werk weitertun.
In der traditionellen Liste der 77 Bischöfe, die auf dem Bischofsstuhl in Augsburg waren, ist Ulrich die glänzendste und leuchtendste Gestalt. Er ist „lucerna in caliginoso loco“. Er ist eine Leuchte, die leuchtet aus einer dunklen Zeit, einer dunklen Zeit, in der das Reich uneinig und zerfallen war und einer Zeit, in der die Mächte von außen in das eben geeinigte Reich eindringen wollten und in der er in der Feste Augsburg widerstand. Was heißt das? Das heißt: Ulrich widerstand in der militärischen Feste Augsburg, die er mit Steinen baute, und er widerstand in der geistigen Feste Augsburg, di er mit seinem Gebet, mit seiner Glaubenskraft, mit seiner geistigen Kraft geistig zum Widerstand stark machte. Und so möge er unter uns treten, mitten unter uns Priester, und möge in den heutigen Dunkelheiten uns leuchten, in der heutigen Zeit, in der die dämonischen Mächte größer, geheimnisvoller, tiefer aus dem „Schacht des Abgrundes“ (Apk 9,2) emporsteigen, mitten unter uns sich erheben, wieder mächtig geworden sind und das Drachenhaupt erheben gegen Christus und seine Kirche, gegen das Werk, das der hl. Ulrich tat, das wir weitertragen und weitertun.
Was denn sein Geheimnis! „Ecce sacerdos magnus, qui in diebus suis placuit Deo!“ „Seht den großen Priester, den Hohenpriester, der in seinen Tagen Gott gefiel!“ Er möge als der Hohepriester heute unter meine Priester treten, die am Altare stehen, unter meine Seminaristen, die den leuchtenden Blick und die zagenden und eilenden Füße zum Altare lenken. Ecce sacerdos magnus! Seht, er steht als Leuchte in seiner Zeit, weil er ein ganzer, ein großer Priester war! Er ist nicht ein großer Gelehrter – von ihm sind uns keine Schriften erhalten. Er ist nicht einer, der aus einem großen Genie große Gedanken wie Blitze in die Zeit geworfen hat. Er ist nicht einer, der in einer großen Gelehrsamkeit die Wissensschätze gesammelt hat. Er ist kein großer Gelehrter wie Augustinus und die anderen großen Gelehrten, die auch segnend ihr Licht auf die Wege des Christentums gespendet haben. Er ist, glaube ich, kein großer Redner gewesen, keiner, der unter den Predigern der Kirchengeschichte genannt wird, kein Goldmund, kein Chrysostosmus. Es sind uns Predigtthemen und Predigtgedanken in einem Kapitel seiner ersten Biographie erhalten. Er ist einer gewesen, der gesprochen hat so wie Paulus“ „non in persuasibilibus humanae sapientiae verbis! (1 Kor 2,4), nicht in den Worten menschlicher Weisheit, die berücken, sondern „im Erweise der Kraft“ und der Gnade Gottes. In die großen Zeiten, an die großen Wendepunkte der Geschichte stellt Gott Menschen, die Menschen seiner Vorsehung sind, die ganz aus der Gnade gefügt sind. Das ist die Kraft und die Macht und die Priesterschönheit des hl. Ulrich, daß er das Kreuz in sich trug und versinnbildete, die Schwachheit und die Torheit des Kreuzes nicht kraftlos werde, damit Christi Kreuz herrlich werde, daß die Menschen sehen: nicht Menschenkraft vollbringt es, sondern Gotteskraft. Sein Kreuz, crux victorialis, ist sein Priestertum, ein Kreuz der Torheit und der Schwäche, aber ein Kreuz, das mit Gotteskraft und den Kräften der Erlösung zum Siege geht.
Meine lieben Priester, lassen wir das unsere Hoffnung sein in unserer harten Zeit: Er ist Leuchte und Hoherpriester, weil er das Kreuz Christi trägt. Großer Hoherpriester Ulrich, was ist denn die Größe deines Priestertums? – Wollen wir das von ihm einmal kurz abschauen.
I. Der hingebende Priester
Das Kreuz und diejenigen, die das Kreuz tragen wie der Hohepriester Ulrich, und wir Priester im kleinen müssen die Zeit wieder retten. Das Kreuz allein kann uns retten. Die erste Schönheit und Größe des Priestertums des hl. Ulrich ist seine Hingabe an Christus. Priestertum heißt, sich in Christus hineinentleeren und aus ihm heraus anfüllen. Christus meint es ernst, wenn er die Priester zu seinen Nachfolgern ruft: „Kommt, folget mir nach!“ Er hat zu ihnen gesagt: „Wenn du alles verlierst – geh hin und verkauf alles und folge mir nach!“
Es wagen, von der Welt wegzugehen und sich von ihren Fesseln loszuketten und ganz in Christus hineinzugehen, das ist der erste Schritt des Priestertums. Das ist das erste Kreuz, das siegend ist im Priester. Und das, meine Lieben, ist um so notwendiger, je weiter wir von solchen Gedanken des Uns-Verlierens in einen anderen hinein, auch des Uns-Verlierens in Christus und in Gott hinein wegkommen. Wir haben keinen Priesternachwuchs mehr, weil diese Loslösung und dieses restlose Hineingehen in Christus nicht mehr die Kraft unserer zeit ist. Die Welt ist so groß, die Welt ist so schön, daß wir es nicht mehr wagen, von ihr uns zu lösen. Der Persönlichkeitskult, die Anbetung des eigenen Willens und der eigenen persönlichen Formung ist so groß geworden, daß wir uns nicht mehr dienend hineinbeugen wollen in dieses Eine, was den Priester schafft, in die große Hingabe.
Der hl. Ulrich war ein sich hingebender Priester. Das war seine Größe. Es wird uns erzählt, daß er in früher Jugend in klösterliche Erziehung kam, daß er in früher Jugend sich Gedanken darüber machte, wie er sich am meisten den Menschen schenken könne, wie er sich am meisten seinem Gott und Christus schenken könne, daß er in den Benediktinerorden eintreten wollte, aber durch inneren Ruf und durch seine Erzieherin und Beraterin Wiborada anderswohin gelenkt wurde. Er war der von Christus Erfüllte sein ganzes Leben lang. Er suchte Christus zu dienen. Er sang ihm die Psalmen. Seine ganze Lebensbeschreibung ist erfüllt von den Nachrichten, wie er am Tage und in der Nacht seine Psalmengebete zu Gott sang. Im Gebet öffnete er sich Gott, um sich mit Gott zu erfüllen. Er ging mehrere Male den langen Weg nach Rom. Meine Lieben, wer Christus sucht, der sucht den Fels, auf dem seine Kirche steht. Er liebte Christus, er liebte seine römisch-katholische Kirche. Als die Tage der Not kamen, da war er der Christuserfüllte, der die große Gefahr kannte und abwendete. Es wird uns erzählt – wir können nur in kleinen Öffnungen in seine Seele schauen – , daß er einmal Passions-predigten hielt. Und da heißt es in seine Biographie, daß er selber dabei weinte und seine Gläubigen zu Tränen brachte. Das ist seine große flammende Liebe. So muß der Priester sein: „Mihi vivere Christus est“ – „Christus ist für mich das Leben“ (Phil 1,21). „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Der Priester muß von Christus erfüllt sein. Nur dann kann er Christus hineinschenken in die Zeit, die in ihrem tiefsten Sehnen nach Christus dürstet, nach seinem Licht auf allen dunklen Wegen, nach seinem Frieden in allen zerrissenen Spaltungen und Abgründen.
Ein Wort an die jungen Menschen, an meine Seminaristen, an meine Alumnen, an die Jugend, die hier ist: Das Größte, das Schönste ist die Hingabe. Glaubt es nicht, daß das Schönste das Sich-selbst-Suchen und Sich-mit-Freude-Erfüllen und sein Leben mit Vergnügen-Ausfüllen ist! Sich das Leben schön und bequem machen ist nicht das Schönste. Das Schönste ist die Hingabe. Sie macht das Herz schön und weit und groß. Die Hingabe an die die Gemeinschaft, meine Lieben, die Hingabe an das Vaterland ist etwas Schönes, weil sie etwas Selbstloses ist, weil der Mensch aus den engen Kerkern seines Ich heraustritt und dem Größeren und Anderen dienen kann. Die Hingabe an die Caritas ist etwas Großes, Schönes, weil der Mensch aus dem Eigenen heraustreten und sich ganz in die Not der Menschen schenken kann. Je größer und je leuchtender der Gegenstand auf dem Berge steht, je flutender und strömender er seine Liebe in die Seele gießt, desto größer ist die Hingabe. Das größte ist die Hingabe an Christus. Es bleibt doch das Schönste, wenn das junge Mädchen hingeht und sagt: „Ich bin da, ich will den Menschen dienen, weil ich Christus dienen will.“ Es ist doch das Schönste, wenn der junge Mann hintritt und spricht: „Adsum!“ „Ich bin da!“ „Ich folge dir, wohin du mich rufst.“
Wir möchten das Abendland retten. Ulrich ist der Retter des Abendlandes. Wer rettet das Abendland? Die hingebenden Menschen. Wer zerstört das Abendland, wer zerstört das Reich Gottes? Die Menschen, die sich selbst suchen, die Kerkermenschen ihres Ich, die Gefängnismenschen der Finsternisse dieser Welt. Heraus, junge Menschen! Heraus! Christus ruft euch! Und wenn er euch ruft und wenn ihr diese Gnadenstimme hört, hört auf ihn! Folgt ihm! Seid mutig! Habet die große Hingabe! Der Weinberg des hl. Ulrich ruft euch. Der Weinberg ist nicht nur unsere Diözese. Der Weinberg des heiligen Ulrich ist das Reich Gottes, das Abendlandweite, das Weltweite, das er geliebt hat, weil er Christus liebte, der das Reich Gottes zu allen Menschen tragen will.
Und nun ein Wort an meine Priester! Hingabe an Christus! Wir alle haben sie gehabt, damals als wir hintraten, zitternd und erschauernd, weil wir uns der Größe der Auserwählung und der Gnade bewußt waren, als wir hineintraten mit unserer jungen Sehnsucht, weil wir die Schönheit, die leuchtende Aufgabe kannten und uns ihrer bewußt waren. „O wie schön sind deine Wohnungen, o Herr der Heerscharen! Wie sehne ich mich, in deinen Vorhöfen zu wohnen“ (Ps 83,2) – wir haben es damals gebetet – „Ein Tag in deinen Vorhöfen ist schöner als tausend Tage anderswo“ (Ps 83,11). Meine Lieben! „Wie schön sind die Füße derer, die den Frieden bringen!“ (Röm 10,15.) Wo ist diese Sehnsucht? Ihr habt ein Leben hinter euch, ihr alten grauen Priester, ihr jungen, tätigen, in der Vollkraft eures Wirkens stehenden Priester – ein Leben der Arbeit für Christus – und ihr seid hineingewachsen immer mehr in die Liebe Christi, Tag für Tag, von Betrachtung zu Betrachtung, von Opfer zu Opfer, von Mühe zu Mühe, von Erfolg zu Erfolg, von Enttäuschung zu Enttäuschung, immer mehr wachsend in Christus und sein Kreuz. Wir wollen uns wieder neu machen in die Stunde zu dieser großen Hingabe, ein Werkzeug sein und uns in die Hand Christi legen, in dieser Stunde, jetzt: „Ich will dir ganz gehören!“ Und wozu will ich dir ganz gehören?
II. Der tätige Priester
Wir fragen: Warum ist der hl. Ulrich groß? Weil er ein tätiger Priester war, der christuserfüllt war, mit der großen Sehnsucht, Christus hinauszutragen, überallhin. Das ist das Zweite: der tätige Priester. Als der heilige Paulus die große Christuserfülltheit zum ersten Male in der Gnadenstunde von Damaskus erhielt, als ihm das überströmende Licht Christi in die Seele flutete, da sprach er die Antwort der Liebe: „Quid vis, ut faciam?“ (Apg 9,6.) Das ist die Priesterfrage, die tägliche Priesterfrage, die stündliche Priesterfrage: „Was willst du, daß ich tue?“ Verfolgen wir den hl. Paulus! Christus hat ihm nicht gesagt, was er tun soll, er hat ihm zunächst eine momentane Anweisung gegeben, aber keine für das ganze Leben. Wo hat dann der hl. Paulus die Stimme Christi gehört? Aus der Not der Menschen, dort, wo er wirken mußte. Christus vocans, Christus ruft, hora vocans, die Stunde ruft!
So war auch der hl. Ulrich. Er ließ sich von der Stunde rufen, wohin sie ihn rief. Wenn er Augsburg verteidigen mußte, dann stand er wie ein Fels. Wenn die Armen ihn riefen, dann war er gütig im Herzen wie eine Mutter. Wenn die Diözese ihn rief, dann war er sorgend und führend mit der Kraft eines Vaters.
Hora voans, die Stunde ruft! Die Stunde ruft auch euch. Das ist das Zweite: von der Erfülltheit zum Hinausschenken alles Erfüllten, von dem Wege in Christus hinein zu den Apostelpfaden des Tages und der Stunde. Das Abendland muß gerettet werden. Womit wird es gerettet? Mit den den großen Rufen, mit den großen Weckuhren, die wieder zu Christus rufen. Es wird aber auch gerettet mit der Kleinarbeit, mit eurer Arbeit im Weinberg. Jeder Weinstock und jede Abteilung des Weinberges muß bebaut werden. Jede Scholle, die grobkörnig ist, muß in Liebe zerbrochen werden. Jede Saat muß gesät, jede Pflanze muß begossen werden. Tätige Priester! Der hl. Ulrich hat sein Leben ausgefüllt mit der Tat für Christus. Er hat seine ganze Persönlichkeit hingegeben in das große Werk, zu dem ihn jedes Jahr, jeder Tag, die historische Situation rief. Nehmet die Aufgaben eurer Zeit in euren Pfarreien wahr! Rettet die Familie, die in Not ist! Rettet die Jugend! Sorgt, daß alles Leben, besonders das öffentliche Leben wieder auf christlichen Grundätzen steht! Verkündet das Evangelium geradeheraus, importune, opportune, wenn es genehm ist und wenn es nicht genehm ist! Seid Arbeiter vom Morgen bis zum Abend, von der frühen Kraft bis zur Müdigkeit und über die Müdigkeit hinaus! Das ist notwendig. Die Zeit ist ernst, so ernst und noch ernster als die Zeit des hl. Ulrich. Die Stunde ruft euch zum Apostolat! Und ihr jungen Menschen, wenn ich es jetzt so sagte, erschreckt nicht! Nehmt das große Werk, junge Menschen! Seid froh, wenn euch Gott vertraut, wenn er eure Schultern stark genug findet, um eine Last darauf zu legen, eure Herzen groß genug, um sie in seinem härtesten Werk zu erproben. Seid tätige Menschen! Tätige Priester!
III. Der betende Priester
Und nun meine Lieben, noch ein Wort vom größten Geheimnis des hl. Ulrich. Er war von Christus erfüllt, er war tätig von früh bis spät. Aber sein tiefstes priesterliches Geheimnis, die Größe des Priestertums, liegt nicht da, sie liegt noch tiefer: Er ist der betende Priester.
Dieses Geheimnis erfahren wir, wenn wir die Kirchengeschichte studieren. Meine Lieben, je tätiger jene Menschen waren, die groß in die Kirchengeschichte hineinwirkten, desto mehr hatten sie Zeit zu beten, und je mehr sie Zeit zu beten hatten, desto tätiger waren sie, desto erfolgreicher waren sie, desto wirksamer haben sie in die Zeit gewirkt. Als der hl. Ulrich Augsburg im Kampf, in dem er selber stand, bewahrt hatte und als der letzte entscheidende Tag draußen auf dem Lechfelde kam, da ist er nicht mehr mitgezogen, da ist er daheimgeblieben unter seinem Volk und hat das Volk zum anderen Kampf gerufen, zum Beten. Er hat das Volk zum Opfer gerufen, zur gemeinsamen Opferfeier. Und aus Gebet und Opfer ist sein Kreuz emporgestiegen; crux victorialis – das siegende Kreuz!
Wenn ich seine Biographie lese, dann fällt mir immer eine große Ähnlichkeit mit dem Evangelium Christ auf. Der hl. Ulrich war ein großer Nachfolger Jesu Christi. Im Evangelium heißt es auch, daß Christus von früh bis spät lehrte und heilte. Es wird uns erzählt, daß er in Kaharnaum einst sagte: „Ich kann mich nicht aufhalten. Ich muß auch draußen auf den Dörfern das Evangelium verkünden“ (Lk 4,43). Er eilte von Ort zu Ort. Und es heißt einmal im Evangelium, daß Christus so beschäftigt war, daß er mit seinen Jüngern nicht einmal Zeit zum Essen hatte (Mk 3,20). Christus war ein beschäftigter Mann, ruhelos für Gott, für den Vater wirkend.
Aber mitten in diesen Berichten über Jesu rastlose Verkündigung und Tätigkeit stehen immer wieder in den Evangelien, wie still leuchtende Sterne hingesät, die Worte, daß er sich „auf seinen Berg zurückzog, um zu beten“ (Mt 14,23), daß er ganze Nächte im Gebete zubrachte, daß er seine Apostel in die Einsamkeit des Gebetes führte und zum Beten rief und sie das Beten lehrte. Der aus dem Schoß des Vaters kam, ruhte auch im Gebet oft im Schoß und in der Liebe des Vaters.
Der heilige Ulrich war der betende Jünger Jesu Christi. Wenn ich seine Lebensbeschreibung lese, dann finde ich ebenfalls, daß er inmitten aller seiner Tätigkeit immer wieder sich zurückzog zum Gebete, daß er die Psalmen betete, daß er die ganze Nacht im Gebete, im Sprechen und Betrachten der Psalmen zubrachte.
Als der Heiland in seine entscheidende Tat ging, zum Kreuzestod, da ging er an den Ölberg, zu beten. Als die große Lechfeldschlacht kam, da war die Nacht vorher Augsburg zum Ölberg, zum betenden Ölberg geworden, wo Ulrich auf den Knien rang und sein Volk, die Frauen und zurückgebliebenen Männer, um sich sammelte und in Prozessionen betend durch die Stadt gehen ließ.
Der betende Priester! Die Gebete haben das Abendland gerettet. So sollen auch wir, meine lieben Mitbrüder, so sehr uns die Stunde zum Tätigsein ruft, das Größte und Wirksamste nicht vergessen: das Beten! Orate! Betet! Ihr feiert das Opfer, das heilige Opfer, das wirksame Gebet. Es gibt kein schöneres Gebet als die heilige Messe, weil im heiligen Opfer Christus selber betet, so wie er auf Kalvaria betete und alles Gebet wertvoll machte und erfüllte und vollendete, alles loben und Sühnen, alles Flehen zu Gott hinauf. Im Opfer, das wir würdig feiern sollen – so wie der hl. Ulrich – in versunkener Andacht, sollt ihr der Welt die rettende Gnade schenken.
Wir müssen viel tun. Wir sind von Arbeit erfüllt, gejagt, getrieben: dann die Welt baut und baut und baut und baut. Aber das Größte, das Mächtigste bleibt das Beten. Denn alles Menschenwerk ist schwach, auch unsere Rufe in die Zeit hinein sind schwach. Alles muß getragen werden von der Gnade. Man hat einmal gesprochen von einer gnadenlosen Zeit. Sie wir eine gnadenlose Zeit? Sicher sind wir eine gnadenbedürftige Zeit. Je mehr wir beten, desto mehr wird die Gnade kommen, denn das Gebet, das Priestergebet, das Christusgebet, reißt die Himmel auf – die Himmel über unserer Erde mit all ihrer Not, die den Vater und seine Gnade, den Sohn und sein Kreuz und seine Liebe und den heiligen Geist und seine erneuernde Sturmes- und Feuerkraft braucht wie keine andere Zeit der Weltgeschichte. Das soll uns bewußt werden, daß wir in diese Zeit mit dem Kreuz, mit Gott, mit Christus überwinden sollen.
Und so betet, betet jetzt in dieser Stunde, ihr meine lieben Diözesanen, betet für eure Priester: „ Hl. Ulrich, mach unserer Priester stark und gib uns Priester, heilige Priester, betende Priester, die dein Wort zu uns sprechen und die Menschen zu den Quellen und Gnaden der Erlösung rufen!“ Und ihr jungen Menschen, betet: Mach uns zu Priestern, mach unsere Herzen bereit! Gib uns Gnade, daß wir die Schritte gehen, die zu deinem Altare führen! Gib uns dein Wort, deinen Ruf, deine Gnade!“
Und ihr Priester, betet und empfanget die Gemeinschaft des hl. Ulrich: sein Wort, das uns ruft, sein leuchtendes Bild, das uns emporzieht und stark macht, und sein Gebet, das für uns fürbittet in der Gemeinschaft des Gebetes Christi, des Erlösenden.
Crux victorialis! Das siegende Kreuz! Amen.
Foto: Diözesanarchiv Bistum Augsburg